Whistleblower sorgt für Super-GAU in der Krebsforschung
Whistleblower und ihre - oft tragischen - Geschichten legten die Weichen für die EU-Whistleblower-Richtlinie und das Hinweisgeberschutzgesetz. In einer Portrait-Reihe widmen wir uns diesen Menschen und ihrem Einsatz für die Gesellschaft. Gehen wir heute zu Prof. Dr. Eberhard Hildt, in das Jahr 1997 und zu einem der größten Wissenschaftsskandale Deutschlands.
Hinweisgeber sorgt für neue Qualitätsstandards in der Forschung: Prof. Dr. Eberhard Hildt und der Herrmann/Brach-Fall
“Er bot mir zwei Alternativen an: die erste wäre, meine Aussagen öffentlich zu machen, die zweite war zu schweigen und eine andere Forschungsgruppe zu finden. Er warnte mich, dass an die Öffentlichkeit zu gehen Folgen für mich haben könne.”
So beschreibt ein junger US-Forscher die Reaktion, auf die er 1994/95 traf, als er auf Unstimmigkeiten in der Forschungsgruppe des renommierten Krebsforschers Prof. Dr. Friedhelm Herrmann und seiner Kollegin Prof. Dr. Marion Brach aufmerksam machte. Ohne an die Öffentlichkeit zu gehen, kehrt er zurück in die USA.
Herrmann galt als eine Koryphäe auf dem Gebiet der Hämatologie und Onkologie. Er hatte knapp 400 Fachaufsätze veröffentlicht, war mehrfach ausgezeichnet, Mitglied in allen relevanten Fachgesellschaften und saß außerdem in verschiedenen Gutachter- und Bewilligungsgremien wie z.B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Etwa zur der Zeit, zu der sein Kollege zurück in die USA kehrt, kommt der junge wissenschaftliche Mitarbeiter, Dr. Eberhard Hildt, in die Arbeitsgruppen um Herrmann und Brach. Ihm fallen Unregelmäßigkeiten in einer von Brachs Veröffentlichungen auf. Er konfrontiert die Professorin, die den Artikel zurückziehen will. Doch nichts geschieht. Im Gegenteil. Hildt kämpft von nun an mit Anfeindungen und Drohungen seitens Brach und Herrmann, die zeitweise mehr als nur die Forschung verband. Man werde ihn “platt machen” und verklagen.
Der junge Wissenschaftler bleibt seiner Vorstellung von Moral und Ethik in der Forschung treu: Wissenschaft muss ehrlich sein. Weitere Recherchen führen ihn zu dem zweifelsfreien Schluss, dass auch Herrmann eine Vielzahl von Publikationen mit gefälschten Daten veröffentlichte.
Eberhard Hildt wendet sich an seinen Doktorvater. Der erkennt das Problem und schaltet weitere Experten, die DFG und die betreffenden Universitäten ein.
Für die deutsche Krebsforschung ist das ein Skandal. Der Super-GAU. Sogar die Tagesschau berichtet.
Die Pressemitteilung der DFG zum Abschlussbericht der extra eingerichteten Task Force im Jahr 2000 macht das Ausmaß deutlich. Es wurde festgestellt, “dass in insgesamt 94 Veröffentlichungen, bei denen Friedhelm Herrmann Co-Autor ist, konkrete Hinweise auf Datenmanipulation zu finden sind.” Weitere 121 Publikationen konnten nicht vom Anfangsverdacht befreit werden.
Im Vergleich zu vielen anderen Hinweisgebern hatte Hildt Glück. Er konnte seine Karriere fortsetzen und leitet heute am Paul-Ehrlich-Institut eigene Arbeitsgruppen.
Die Wirkung des Falls für unsere Gesellschaft
Als Konsequenz dieses Whistleblower-Falls setzte die DFG neue Standards durch zur “Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis”. An diese neue Qualitätssicherungsstandards muss sich auch noch heute jeder halten. 1997 wurde zudem der “Ombudsman für die Wissenschaft” etabliert. Dort können Wissenschaftler ihren Verdacht auf Forschungsbetrug melden, auf Wunsch auch anonym. Whistleblower sind nach wie vor fast das wichtigste Kontrollorgan in der Forschung.
Der Ombudsman wird nun wohl aufgrund des Hinweisgeberschutzgesetzes Verstärkung in Form eines Hinweisgebersystems bekommen: Der Bundesrat hat am 12. Mai 2023 das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) verabschiedet. Vier Wochen nach Verkündung, voraussichtlich Mitte Juni 2023, tritt das neue Gesetz in Kraft.
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